Gründung der Elly

Ein Blick zurück

Im Sommer 1945 gab es in Darmstadt kaum noch intakte Schulgebäude. Von ehemals 26 Schulen waren 15 zerstört oder schwer beschädigt, die meisten anderen von Verwaltungsdienststellen belegt. Die Eleonorenschule diente zum Beispiel bis 1958 als Darmstädter Rathaus. Als am 1. Oktober 1945 der Unterricht für die Volksschulen wieder begann, waren die Unterrichtsbedingungen unglaublich primitiv. Viele Schulräume waren nur notdürftig eingerichtet, Decken, Treppen und Fenster provisorisch repariert; bei Regen stand in vielen Schulsälen das Wasser. Im Winter musste der Unterricht wegen mangelnder Heizmöglichkeiten oft ausfallen – „kohlefrei“ nannte man das. Die Schüler wurden in bis zu vier Schichten unterrichtet, vom frühen Morgen bis in den Abend hinein, und das bei Klassenstärken von bis zu 50 Schülern. Schulbücher und Lernmaterial waren knapp. Die schwer beschädigte Mornewegschule stand 1945 als einzige Volksschule für die gesamte Südhälfte Darmstadts von der Heidenreichstraße bis zur Heimstättensiedlung zur Verfügung. Es gab kein richtiges Dach und kaum ausreichende Heizung. Oft war es so dunkel, dass der Unterricht bei Kerzenschein stattfinden musste. Ab 1946 konnte dann die Bessunger Knabenschule teilweise genutzt werden, die Unterrichtsbedingungen besserten sich jedoch nicht wesentlich.

Die Schulsituation entspannte sich erst Anfang der 50er Jahre, als drei neue Volksschulen errichtet wurden, darunter die Elly-Heuss-Knapp-Schule im Osten Darmstadts. Als Bauplatz für die Schule wählte man ein Gelände am Rande des alten Darmstädter Verkehrsflugplatzes auf der Lichtwiese, der zunächst als Übungsflugplatz im Juli 1924 eröffnet wurde. 1926-1934 starteten von hier die Flugzeuge der Deutschen Lufthansa zu Flügen nach ganz Europa. Als die neue Schule 1952 geplant wurde, lag die Fliegerei auf der Lichtwiese bereits fast 20 Jahre zurück. Dennoch nannte man die Elly-Heuss-Knapp-Schule noch bis in die 70er Jahre hinein „Schule am Alten Flugplatz“.

Die Planung für die neue Volksschule ist im Zusammenhang mit dem Bebauungsplan für ein neues Wohngebiet zwischen der Heinrichstraße, dem Alten Friedhof und der Lichtwiese zu sehen. Der erste Entwurf vom Dezember 1950 sah bereits einen Schulbau an der heutigen Stelle vor, jedoch wurde der Bauentwurf in den kommenden zwei Jahren noch mehrmals überarbeitet. Am 8. April 1953 begannen die Bauarbeiten für die neue Schule. Im Herbst des Jahres gab Bundespräsident Theodor Heuss seine Einwilligung, die Schule nach seiner verstorbenen Frau Elly Heuss-Knapp zu benennen. Der erste Bauabschnitt umfasste die Hausmeisterwohnung, ein Gebäude, in dem Schulverwaltung, Lehrerzimmer und ein Kindergarten auf engstem Raum untergebracht waren, sowie einen Klassentrakt mit sechs Klassen und zwei Halbklassen; letztere waren für getrennten Unterricht z.B. in Religion und Handarbeiten vorgesehen.

Die neue Schule entstand auf freiem Gelände zunächst ohne Straßenanbindung. Erst im Juni 1954 wurde die verlängerte Inselstraße, die heutige Theodor-Heuss-Straße fertig gestellt. In dem neu entstehenden Viertel südlich der Heinrichstraße standen damals erst wenige Häuser. Als der Kulturausschuss des Hessischen Landtags im Februar 1954 die im Bau befindliche Schule besichtigte, brauchte er von der Ecke Herdweg/Inselstraße bis zur Schule eine halbe Stunde durch beinahe unwegsames Gelände.

Noch bevor der eigentliche Schulbau eröffnet wurde, weihten die in großer Zahl erschienenen Stadtväter am 13. März 1954 den Schulkindergarten ein, der für die Betreuung von 40 Kindern durch zwei Kindergärtnerinnen vorgesehen war. Die Stadt hatte beschlossen jedem Neubau einer Volksschule einen Schulkindergarten mit eigenem Eingang, Spielplatz und Garten anzugliedern, um die Kleinsten behutsam auf die Schule vorzubereiten. Die Festredner lobten die neuen hellen Räume, deren Wände Märchenbilder des Malers Eric Hajo schmückten, den großen Garten (der heutige Schulgarten) und die Nähe zum Wald.

Am 10. April 1954 wurde die Elly-Heuss-Knapp-Schule mit einer Feierstunde eingeweiht. Die musikalische Untermalung gestaltete der Schulchor der Mornewegschule, von der viele Schüler zur neuen Schule übergingen. Am folgenden Tag begann der Unterricht für ca. 400 Schülerinnen und Schüler, die sich auf 9 Klassen in den Jahrgangsstufen 1 bis 6 verteilten und von Rektor Ernst Schwiethal und sieben weiteren Lehrkräften unterrichtet wurden. Weitere 48 Kinder wurden im Laufe des Jahres 1954 nachträglich eingeschult. 1955 kamen sechs weitere Lehrkräfte hinzu, 1966 bestand das Kollegium schließlich aus 20 Lehrerinnen und Lehrern. Ernst Schwiethal war bereits im Herbst 1953 mit der kommissarischen Leitung der im Bau befindlichen neuen Schule betraut worden. Im August 1955 wurde er zum Rektor ernannt und leitete die Elly-Heuss-Knapp-Schule bis zum Sommer 1973. Ihm zur Seite stand seit Mai 1959 Konrektor Walter Korell. Die Schülerzahlen in den einzelnen Klassen schwankten in den ersten Jahren relativ stark. Laufend wurden Kinder während des Schuljahrs angemeldet. Dies lag vor allem daran, dass im neuen Wohnviertel um die Schule herum zahlreiche neue Häuser gebaut wurden. Auch die Bewohnerzahl der wieder aufgebauten alten Straßen (Soder-, Roßdörfer, Insel-, Heinrichstraße usw.) stieg ständig an.

Bereits am ersten Unterrichtstag war die Schule hoffnungslos überlastet, Schichtunterricht wie in allen anderen Darmstädter Schulen war unausweichlich. Die ersten und zweiten Klassen (jeweils a und b) mussten sich anfangs einen Klassensaal teilen. Die größte Klasse umfasste 50 Kinder. Die Zahl der Anmeldungen von schulpflichtigen Kindern in der Elly-Heuss-Knapp-Schule wächst lawinenhaft an, berichtete das Darmstädter Echo am 20. November 1954. Der Schichtuntericht bewirkte bei den Schülern, die am Nachmittag unterrichtet wurden, einen erheblichen Abfall der schulischen Leistungen. Eine zwischenzeitliche Erleichterung brachte die Eröffnung des zweiten Bauabschnitts, der am 5. März 1955 durch Oberbürgermeister Dr. Ludwig Engel in Anwesenheit von Marianne Lesser-Knapp, der Schwester von Elly Heuss-Knapp, eingeweiht wurde. Der Neubau umfasste den zweiten Klassentrakt mit fünf weiteren Klassenräumen und Werkräumen im Erdgeschoss. Die Schule erhielt jetzt endlich einen großen Saal, in dem die Eröffnungsfeier stattfinden konnte. Auf die eigene Turnhalle musste man hingegen noch sieben Jahre warten. Auch der Schichtunterricht konnte bei mittlerweile 14 Klassen in 11 Schulräumen noch nicht vollständig abgeschafft werden. Die Zahl der Lehrer hielt mit der Entwicklung der Schülerzahlen – 1955 bereits rund 550, 1970 etwa 750 – immer nur notdürftig Schritt, so dass auch in den Folgejahren Klassengrößen von 40 und mehr die Regel waren. Ende 1972 suchte der Elternbeirat der Schule aus Protest sogar per Zeitungsinserat Lehrer, die die fehlenden Stunden übernehmen sollten. Bemerkungen wie Im kommenden Schuljahr müssen voraussichtlich einige Kollegen eine Doppelklassenführung übernehmen, da es an Lehrkräften mangelt, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Konferenzprotokolle der 50er, 60er und 70er Jahre und haben bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt.

Zweimal stattete Bundespräsident Theodor Heuss der Schule, die den Namen seiner Frau trug, einen Besuch ab, zuerst am 22. Oktober 1955, dem Tag, an dem ihm die Stadt Darmstadt die Ehrenbürgerwürde verlieh. Schüler und Lehrer hatten den Besuch mehrfach geprobt, wobei der Hausmeister die Rolle des Bundespräsidenten übernahm. Zusammen mit seiner Schwägerin Marianne Lesser-Knapp besichtigte Theodor Heuss die neue Schule und lauschte den von den Kindern vorgetragenen Liedern und Gedichten.

Die Planung und Errichtung der Elly-Heuss-Knapp-Schule erfolgte nach neuen pädagogischen Prinzipien. Eine Synthese von geglückter architektonischer Lösung und Berücksichtigung aller pädagogischen Belange nannte sie Oberbaudirektor Peter Grund. Sie hatte helle und freundliche Klassenräume ohne äußeren Schmuck, die Tische konnten so angeordnet werden, dass die Kinder in kleinen Gruppen saßen. Es gab zwei getrennte Treppenhäuser für je 3 1/2 Klassen, damit in Pausen und bei Unterrichtsende nicht alle Schüler auf ein Treppenhaus zustürmten, dazu mehrere Schulhöfe, viel Freiraum und Grünanlagen. Rektor Schwiethal war neuen pädagogischen Ideen aufgeschlossen. Als erste Schule Darmstadts führte er 1955 Kochunterricht für Jungen ein. 1956, anlässlich des 75. Geburtstags der Namensgeberin, veranstaltete die Schule eine „Leistungsschau“, in der Schüler selbst gefertigte Arbeiten ausstellten. Im September 1971 begann in einer 2. Klasse der Versuch, Eltern in den Unterricht einzubinden, indem sie den Kindern die eigene Berufswelt vorstellten. Seit Anfang der 70er Jahre gab es besondere Kurse für Legastheniker und eine Hausaufgabenbetreuung der Caritas für Kinder ausländischer Mitbürger. Während solche pädagogischen Ideen heute wohl überwiegend positiv aufgenommen würden, beschwerte sich 1956 ausgerechnet der Stadtelternbeirat über die Einrichtung von Schulküchen und Werkräumen, wo doch in anderen Schulen noch Schichtunterricht abgehalten werde. Rektor Schwiethal verteidigte jedoch erfolgreich den hauswirtschaftlichen Unterricht und das Werken als notwendige Ergänzung zur musischen Erziehung. Er und seine Nachfolgerin Helga Hager betonten wiederholt den obersten pädagogischen Grundsatz der Schule: Lernen ohne Angst und ohne Stress.

Durch den schnellen Ausbau des Ostviertels stiegen die Schülerzahlen schneller an, als die Schule sie verkraften konnte. Rektor Schwiethal beschwerte sich mehrfach über die katastrophale Raum- und Personalsituation. Im November 1959 stellte der städtische Schulausschuss fest, dass die Verhältnisse an keiner Volksschule so schlecht seien, wie an der Elly-Heuss-Knapp-Schule. Dennoch dauerte es noch fast drei Jahre, bis der 3. und letzte Bauabschnitt am 18. Oktober 1962 eingeweiht werden konnte. Neben dem dritten Klassentrakt mit sechs weiteren Klassensälen, einem Lehrerzimmer und einem Übungsraum für Chemie und Physik erhielt die Schule endlich auch ihre eigene Turnhalle. Zum zweiten Mal beehrte Alt-Bundespräsident Theodor Heuss die Schule mit seinem Besuch, weil an diesem Tag auch die von der Darmstädter Bildhauerin Ulla Scholl geschaffene Büste von Elly Heuss-Knapp im Vorraum des Verwaltungsbaus enthüllt wurde.

1964 wurde in Hessen das neunte Schuljahr eingeführt und damit die Elly-Heuss-Knapp-Schule von einer Volksschule zu einer Hauptschule. Während die ersten vier Klassen immer voll besetzt und oft vierzügig, einmal sogar fünfzügig geführt werden mussten, waren die weiterführenden Klassen 5 bis 9 eher schwach besetzt. Im Schuljahr 1966/67 umfasste die Elly-Heuss-Knapp-Schule 3 erste, 4 zweite, 4 dritte, 4 vierte und 2 fünfte Klassen, aber nur jeweils eine sechste bis neunte Klasse. Ab 1970 begann die Hauptschule auszusterben, wie Rektor Schwiethal in der Schulchronik vermerkte, als nur noch eine schwach besetzte fünfte Klasse und keine sechste mehr gebildet werden konnten. 1973/74 gab es nur noch eine fünfte und eine neunte Klasse. Dennoch dauerte es noch weitere 10 Jahre, bis im Sommer 1984 die letzten Absolventen mit Hauptschulabschluss die Schule verließen und die Elly-Heuss-Knapp-Schule eine reine Grundschule wurde.

Zum 25-jährigen Schuljubiläum im April 1979 zählte die Elly-Heuss-Knapp-Schule 488 Schülerinnen und Schüler. Schulleiterin war seit Juli 1973 Helga Hager, die die Schule bis 1995 führte.

Gleichzeitig mit dem allmählichen Auslaufen der Hauptschule bemühte sich die Schulleitung um die Genehmigung zur Einrichtung einer Förderstufe, die zum Schuljahr 1981/82 nach zähen Verhandlungen mit den Gremien der Stadt und dem Schulamt auch eingerichtet werden konnte. Die Förderstufe, in der alle Schüler die Möglichkeit hatten, Klasse fünf und sechs an der Grundschule zu verbringen, um sich dann erst für eine weiterführende Schule zu entscheiden, musste jedoch 1996 gegen den Willen der Schulleitung auslaufen. Seit 1989 wurde muttersprachlicher Unterricht in Französisch angeboten. Außerdem gab es eine Arbeitsgemeinschaft Französisch für die dritten Klassen. 1992 kam, ebenfalls ab Klasse 3, Englisch-Unterricht hinzu, der kontinuierlich ausgebaut wurde und heute im Jahr 2004 bereits im 1. Schuljahr beginnt.

Ständiges Thema der Schulentwicklung in den 80er und 90er Jahren waren die Bemühungen um eine Neugestaltung der Schulhöfe und des Schulgartens. Aber die Neugestaltung des Schulhofes ließ noch lange auf sich warten. Neue Impulse bei diesen Bemühungen setzten die 1993 eingerichtete Schulkonferenz und der 1998 gegründete Förderkreis, dem – mit städtischer Unterstützung – die Neugestaltung des Schulsportplatzes in den Jahren 1999 und 2000 zu verdanken ist. Auch bei der Neugestaltung des ersten Schulhofabschnitts, die jetzt pünktlich zur 50-Jahr Feier abgeschlossen werden konnte, ist der Förderkreis – wiederum unterstützt von der Stadt Darmstadt – federführend beteiligt. Die Elternschaft zeigte immer großes Interesse an den Angelegenheiten der Schule. Elternversammlungen und Elternbeiratssitzungen waren immer gut besucht, vermerkte schon Ernst Schwiethal in einem Rückblick auf seine Amtszeit in der Schulchronik. Eine gute Tradition, die nach wie vor sehr lebendig ist: Die aktive Zusammenarbeit von Eltern, Lehrern und Schule hat sich auch bis heute intensiv fortgesetzt. Sie hat viel Positives zur Entwicklung der Elly-Heuss-Knapp-Schule und damit zur Verbesserung der Lernbedingungen der Schülerinnen und Schüler beigetragen.