Wie war das eigentlich damals?

Als vor 50 Jahren die Elly-Heuss-Knapp-Schule ihre Pforten öffnete, tickten die Uhren in Darmstadts Schulleben noch anders. Der Zweite Weltkrieg war gerade einmal seit neun Jahren vorbei. Raumnot, Schichtunterricht und überfüllte Klassen prägten das Bild in den Grundschulen. Ehemalige Lehrerinnen, Lehrer, Schülerinnen und Schüler erinnern sich an die ersten Jahre in der damals neuen Elly-Heuss-Knapp-Schule.

Wenn Frau Kaselitz an ihre ersten Eindrücke als Lehrerin in der Elly-Heuss-Knapp-Schule zurück denkt, dann steht ihr vor allem das neue Schulgebäude vor Augen: „Vieles war noch kaputt vom Krieg, zu Hause wohnten viele noch in Trümmern. Man freute sich über diese schmucke, kleine Schule, die dort mitten im Ödland stand.“ So empfanden es auch die Schülerinnen und Schüler. Die meisten kamen von der Schillerschule und der Mornewegschule, wo sie ihre allererste Grundschulzeit in überfüllten Klassen und renovierungsbedürftigen Gebäuden verbracht hatten. Josy Teifel, damals in der dritten Klasse kann sich noch gut in ihre Kindheit zurück versetzen: „Das Gebäude kam mir gar nicht vor wie eine richtige Schule, es war nicht so riesig.“ Und ihre damalige Schulfreundin Inge Buchinger ergänzt: „Alles war schön und neu und wir hatten auch nicht mehr den weiten Schulweg. Das war wichtig, denn es gab ja keinen Schulbus und auch niemanden, der uns mit dem Auto zur Schule gefahren hätte.“ Dennoch, der Schulweg blieb für viele Kinder noch länger ein Abenteuer. Er führte vorbei an Trümmergrundstücken und Baustellen, auf denen das Spielen ganz ungeheuer verboten war und die – vielleicht gerade deshalb – immer wieder die Kinder anlockten. Alte Kellergewölbe versprachen Geheimnisse, halboffene Ruinen luden zum Vater-Mutter-Kind-Spiel in den „eigenen vier Wänden“ ein. „Das war manchmal lebensgefährlich“, beurteilt der ehemalige Schüler Edgar Jung die Spiele im Nachhinein, „aber es war eben auch viel freier als heute.“

Nicht freier, sondern – im Gegenteil – sogar viel strenger ging es dafür im Unterreicht zu, so zumindest beurteilen es die ehemaligen Schüler und Lehrer einhellig. In Klassen mit bis zu 48 Schülerinnen und Schülern war das „still Sitzen“ eine Grundvoraussetzung für jeden Unterricht. Die Kinder hatten großen Respekt vor ihren Lehrerinnen und Lehrern. Mit den so genannten Kopfnoten wurden Eigenschaften wie „Betragen, Fleiß, Aufmerksamkeit und Ordnung“ bewertet. „Am Anfang jedes Schultages“, erinnert sich Frau Kaselitz „wurde gesungen oder etwas Gymnastik gemacht“. Wenn der Lehrer oder die Lehrerin den Klassenraum betraten, stand die ganze Schülerschar auf, sagte im Chor „guten Morgen“. Dann setzte man sich geordnet wieder hin. Auch wer sich meldete und „dran kam“ musste aufstehen und setzte sich erst wieder mit Erlaubnis des Lehrers. Übereifriges Fingerschnipsen beim Melden war verboten und auch ein Tadel für schmutzige Fingernägel gehörte durchaus mit ins Erziehungsprogramm. Und für besondere Übeltäter gab’s auch schon mal Arrest: dienstags und freitags am Nachmittag beim Schulrektor höchst persönlich.

Die heutige Wohngegend rund um die Schule war 1954 noch kaum bebaut. Als mit dem Bau des ersten Abschnittes des Schulgebäudes begonnen wurde, gab es weit und breit nur Schrebergärten. Einzig ein Haus im Kohlbergweg und ein Haus in der verlängerten Heidenreichstraße standen schon. Nach und nach wurden die Grundstücke rund um die Schule bebaut. Für die Schule bedeutete fast jedes fertig gestellte Haus auch den Zuzug neuer Kinder. Lehrer Wolfgang Dziuk erinnert sich: „Einmal wurden zwei Häuser auf einmal bezugsfertig. Beide Familien hatten je fünf Kinder. Wir mussten also an einem Tag mitten im Schuljahr zehn neue Schüler aufnehmen.“

Geld und materiellen Wohlstand gab es noch wenig in der Anfangszeit der Elly-Heuss-Knapp-Schule. „Wir waren darauf angewiesen selbst eigene Ideen umzusetzen“, resümiert Edgar Jung die Freizeitgestaltung in seiner Kindheit. Auf dem Schulhof wurde Fußball, Fangen und Verstecken gespielt. Irgendwie schaffte es immer jemand ein Seil zum Hüpfen zu organisieren. Auf der Lichtwiese wurden Höhlen gegraben und es wurde Indianer gespielt. „Wir haben auch schon mal einen Stummel Kreide aus der Klasse stibitzt, um uns Hüpfkästchen aufzumalen“, erzählt Inge Buchinger. „Und die ganz kleinen Kinder spielten Murmeln mit kleinen Lehmkugeln. Glaskugeln gab es nur selten – die waren einfach zu teuer.“

Ein Ereignis, das Lehrern und Schülern bis heute im Gedächtnis haften geblieben ist, war der Besuch des Bundespräsidenten Theodor Heuss zur Einweihung der Schule. Dazu war der Eingangsbereich der Schule geschmückt worden, die letzten Gehwegplatten waren – gerade noch rechtzeitig – am Tag zuvor verlegt worden. Der Chor der Schule begrüßte den hohen Besuch mit Gesang, eine Schülerin trug ein Gedicht vor – die Schule hatte sich für Ihren Gast ins Zeug gelegt. Der Bundespräsident revanchierte sich. „Mit einer durchaus humorvollen Ansprache“, weiß der ehemalige Lehrer Wolfgang Dziuk noch „und mit Schokolade für die Kinder.“ Das haben natürlich auch die ehemaligen Schüler nicht vergessen. „Schokolade war damals für uns etwas ganz Außergewöhnliches, das haben wir nicht oft bekommen, erklärt Josy Teifel das Besondere des Geschenks. „Eine ganze Tafel für jedes Kind, mit Widmung drauf. Das weiß ich noch wie heute.“

Aus der Not eine Tugend gemacht

Eine Turnhalle hatte die EHKS in den ersten Jahren noch nicht. Aber eine Wiese hinter dem Schulgebäude gab es. Dort wurde Sportunterricht gehalten, wann immer es das Wetter hergab. Weil das natürlich unregelmäßig war, führte die Schule regelmäßigen Schwimmunterricht ein. Zu Fuß gingen die Klassen ins „Alte Hallenbad“ am Finanzamt oder sogar auch mal zu sommerlichen Tauchübungen in den Woog. Schwimmen wurde bald zum Markenzeichen der Schule: Bei einem Schwimmvergleich der Schulen im Jahr 1962 belegte die EHKS bezüglich der Anzahl der Kinder mit Freischwimmer von insgesamt 772 beteiligten Schulen den dritten Platz.

Montagsfeiern

Eine Besonderheit an die sich alle gerne zurückerinnern, waren die so genannten Montagsfeiern. Jeden Montag früh versammelte sich -so das Wetter es zuließ – die ganze Schule auf dem Schulhof zu einem gemeinsamen Beginn der Woche. Im Wechsel trugen die Klassen Lieder, Gedichte oder Geschichten vor. Darüber hinaus wurden Schulregeln und Neuigkeiten besprochen oder Besonderheiten im Wochenplan mitgeteilt. Ziel dieser Feiern war es, das Wochenende hinter sich zu lassen und die neue Schulwoche gemeinsam zu beginnen.

Ein Anruf aus Amerika

Dass man in die entferntesten Winkel der Welt problemlos telefonieren kann, ist für uns heute nichts Besonderes mehr. Ganz anders war das noch in den 60er Jahren. Ein Telefonat mit Amerika war ein denkwürdiges Ereignis, wie diese Notiz von Rektor Schwiethal vom 30. November 1965 zeigt: „Die Schülerin Andrea Link (vor einem Jahr aus Amerika gekommen) hat am Telefon des Rektorzimmers mit ihrer Mutter in Los Angeles etwa 5 Minuten gesprochen. Ich selbst konnte Frau Link gut verstehen.“